Anouk Perleman-Jacob ist 100 Jahre alt .
Der Ich-Erzähler mit dem Namen Michael, wie der Autor selbst, ist bekannt für seine eingefügten Unwahrheiten in den von ihm verfassten Biografien, er hat einen windigen Ruf.
Das veranlasst die alte Dame ihn zu beauftragen ihre Biografie zu schreiben.
Was niemand weiß, sollen Sie schreiben, ein Schriftsteller, dem man nicht glaubt, was er schreibt . Gesagt werden soll es. Und wenn es keiner glaubt, umso besser
Mit diesen vielversprechenden Sätzen wird man flugs in die Geschichte der Frau Perleman-Jacob eingeführt. Sie erzählt im Folgenden ihre Geschichte so, wie sie denkt, macht Zeitsprünge zum besseren Verständnis, zeigt ihre damaligen Gedanken als junges Mädchen auf, ihre Verliebtheit.
Als Zehnjährige, geboren in St. Petersburg, erlebt sie die Wirren des Bürgerkrieges. Später bekommt der Vater, ein Architekt, einen Lehrauftrag in Paris, woraufhin die Familie dann dorthin zieht.
Dort treffen sie russische Künstler, Schriftsteller, Exilanten, machen interessante Bekanntschaften, von deren politischer Reichweite hat die die kleine Anouk vorerst nur Ahnungen.
Dann 1922, Anouk ist 14 Jahre alt, wird die Familie, zurück in St. Petersburg, aufgrund der Pariser Bekanntschaften verhört und es wird Ihnen kurz darauf befohlen, Russland zu verlassen. Mit nur einer halben Stunde Zeit zu packen wurden die drei auf ein Dampfturbinenschiff verfrachtet, das neben zwei anderen Schiffen den Hafen von St. Petersburg schnell verlassen sollte.
Später wurde gesagt, dies sei ein Entgegenkommen de Regierung, ein Akt der Humanität, die Ausgewiesenen, alles Ärzte, Professoren Wissenschaftler, Rechtsanwälte Journalisten Philosophen wären potentielle Waffen in den Händen möglicher Feinde.
Dieses dritte Schiff, von dem Anouk Perleman-Jacob berichtet, stoppte dann plötzlich mitten im dem Finnischen Meerbusen.
Ein neuer Passagier wurde auf das Schiff gebracht, den die beherzte Anouk auf dem Deck der 1. Klasse entdeckt, ein Passagier, todkrank, in Decken gehüllt. Es ist Lenin.
Interessant und lebendig beschreibt Köhlmeier die russische Geschichte aus Sicht und Erinnerungen einer Hundertjährigen. Sie erzählt die Stimmungen, die zu den jeweiligen Zeiten herrschen, die Ermordung der Zarenfamilie und deren politische und gesellschaftliche Auswirkungen. Auch erfährt man durch Perlemans Werdegang in Amerika über die McCarthy-Ära und den Verhören von Künstlern, Wissenschaftlern, Philosophen. Die Frage wird aufgeworfen wer wird warum als Terrorist gebrandmarkt und später zum Helden gekürt. Wem kann Perleman-Jacob privat noch vertrauen? Der undurchsichtigen neugierigen anderen Biografin jedenfalls nicht.
Das Vertrauen ist von den zeitlichen weltpolitischen Strömungen abhängig, zeigt sie auf.
Sie können sich das nicht vorstellen, wie es ist, wenn alles, was geschieht, auf wenigstens zwei Arten gedeutet werden kann, wenn bei allen der Verdacht besteht, dass es nicht so ist, wie es scheint. Dass alles Inszenierung sein könnte... und: Aber vergessen Sie nicht, wer Sie sind: Sie sind der, dem man glaubt, wenn er lügt, und nicht glaubt, wenn er die Wahrheit sagt.
Köhlmeier laviert durch diese Unsicherheiten, zeigt politische und private Verwobenheiten an und spinnt eine Geschichte, die wahr sein könnte, aber Unwahrheiten beinhaltet. Doch, so könnte es politisch gewesen sein. Der Roman ist fesselnd, informativ und sehr amüsant mit vielen witzigen Einlagen, ein Vergnügen, dies Buch zu lesen. Es hallt lange nach.
Michael Köhlmeier 1949 geboren, lebt in Hohenems/Vorarlberg und Wien. Er wurde für seine Romane vielfach ausgezeichnet